Rap und indigene Sprachen: Eine kurze Einführung in den peruanischen Kontext

La rapera bilingüe Renata Flores en el videoclip "Tijeras".

R

*Philipp Rohn

Rap ist ein Genre bei dem Text und das Wort eine zentrale Rolle einnehmen. Die Songs dieser verschiedenen Künstler*innen funktionieren auf verschiedenen Ebenen und sind daher als ein multi-modalen Diskurs zu verstehen. So spielt nicht nur der Text eine zentrale Rolle, sondern auch die Beats, Instrumentalisierung und die visuelle Untermalung der Musikvideos (Barret 2017: 197). In ihnen spiegeln sich post-koloniale Symboliken und Musikanspielungen wider, und kritisieren somit die koloniale und hegemoniale Ordnung ihrer Länder, die ihre Sprache und Identität dem spanischen unterordnet und vom Begriff der Modernität als abgetrennt interpretiert.

Das Quechua in Peru gilt laut dem “UNESCO Atlas of the World‘s Language in Danger“ als bedroht (UNESCO 2010: o.S.). Allgemein sind mittleweile mindestens 111, der über 550 verschiedenen indigenen Sprachen in Lateinamerika unmittelbar vorm Aussterben bedroht (Cortina 2014: 19). Deshalb fangen immer mehr indigene Specher*innen an sich aktiv gegen diese Sprachentwicklung aufzulehnen. In Peru, um es mit den Worten von Liberato Kani zu beschreiben, ist das Quechua im Widerstand (Liberato Kani 2016).

Liberato Kani ist einer neben vielen anderen jungen Künstler*innen, die zu einer Resistenz des Quechua beitragen. Diese verschiedenen Akteur*innen kommen aus verschiedenen Städten und engagieren sich in unterschiedlichen Bereichen. Sie fügen Disneyfilmen Quechua-Untertitel hinzu, kommentieren Fußballspiele, produzieren Online Videos in Quechua, verfassen gedruckte Magazine in Quechua (Zavala 2019: 65) oder fangen an, wie im Falle des bilingualen Rapper Liberato Kani’s, auf Quechua zu rappen. Sie vereint fast alle die Präsenz im Internet und den sozialen Medien. Sie versuchen mit neuen Techniken, Methoden und innovativen Praktiken Jahrhundert alte Sprachmuster, Vorurteile und festgefahrene Strukturen zu überwinden und sich somit in die Produktion der Popkultur im Lande aktiv miteinzubringen.

Quechua sprachige Menschen im Altiplano

Durch ihr Engagement tragen sie dazu bei, dass das Quechua gerade bei jungen Menschen spürbar an Prestige gewinnt. (Dueñas 2019: 46) und die dominanten Sprachideologien des Landes zu dekonstruieren (Zavala 2019: 61). Dennoch herrscht in Peru bis heute eine Hierarchisierung zweier Sprachidentitäten vor, die durch das Kolonialsystem etabliert wurde. Zum einen gab es die Bevölkerung europäischer Abstammung, die hierarchisch übergestellt war. Diese kontrollierte die Produktion der Güter und außerdem die politische und wirtschaftliche Verwaltung des Landes und bewohnte die urbanen Zentren. Und auf der anderen Seite gab es die indigene Bevölkerung, die Machtpolitisch untergeordnet war und zum großen Teil in den ländlichen Bereichen angesiedelt war. Diese Asymmetrie führte zur räumlich-sprachlich-ethnischen Segregation der beiden Gruppen (Golte 2001: 108 f.). Folglich wurde, diese ethnische Trennung und Hierarchie so verinnerlicht, dass sie zwei Sprachgruppen und Identitäten erschuf, die einen fließender Übergang zwischen dem Spanischen und den indigenen Sprachen und das Koexistieren von kulturellen Phänomenen verneinte (Garcia et al. 2017: 3 f.), obwohl diese Grenzen vor allem durch Migration immer mehr verwischten (Gugenberger 2016: 334).

Diese Trennung produzierte eine Sprachideologie, die die Stadt und das Spanische mit Modernität, Fortschritt, Globalität, Überlegenheit gleichsetzten und Sprachen wie das Quechua bzw. Aymara mit wirtschaftlicher Armut, geringem Bildungsniveau, der Vergangenheit, Kindheit und dem ländlichen Leben in den Anden (Gugenberger 2016: 333 f., Zavala 2014: 14, 2018: 4 f., 2019 63 f.).

Entgegen diesen linguistischen Tendenzen kommt es nun zu einer Resistenz junger Quechua Sprecher*innen, die als reaktive und zentrifugale Kräfte von unten beschrieben werden können (Escobar 2011: 7). Reaktive Kräfte meint, dass als Antwort auf globale Kräfte, Individuen nach ihrer eigenen und besonderen kulturellen Identität suchen und dazu tendieren alte kulturelle Elemente wieder aufzunehmen (Grenoble und Whaley 2016: 3). Zwei Beispiele dieser reaktiven Kräfte ist der bereits erwähnte Rapper Liberato Kani und die in Peru sehr bekannte junge Sängerin und Rapperin Renata Flores.

Liberato Kani

Der bilinguale Rapper Liberato Kani

Liberato Kani, geboren mit dem Namen Ricardo Flores, ist Mitte zwanzig und wuchs in Lima auf. Er mischt in seiner Musik verschiedene Stile. So sind seine Beats mit Samples aus Andiner Musik komponiert und seine Texte bilingual. Dabei bedient er sich auch Versen aus Huaynos, die eine traditionelle andine Musik darstellen. Dies ermöglicht ihm indigene Identitäten multi-modal zu präsentieren, während er kontemporäre Musik aufführt (Zavala 2019: 66, 71). Sein Name „Liberato Kani“ setzt sich aus dem lateinischen „Liberato“ („Befreiter“/ „Freier“) und „Kani“, „Ich bin“ auf Quechua zusammen. Als „Befreier“ beschreibt er jemanden, der versucht sich aus physischen bzw. mentalen Gefängnissen zu befreien und seinen Gefühlen freien Ausdruck lässt (El Montonero 2017: 00:36-01:29). Seine Biografie ist ein gutes Beispiel, wie ein Sprachenwechsel nicht unbedingt linear und gleichmäßig ablaufen muss.

Liberato wuchs zwar in Lima mit Quechua sprachigen Eltern auf, doch lernte er diese Sprache nicht von ihnen. Er hörte sie zwar als Kind sprechen, doch seine Eltern gaben ihre Sprachkenntnisse nicht an ihn weiter. So wird das Quechua sprechen auch in der Küstenmetropole Lima, schnell mit einer andinen und ländlichen Identität assoziiert, die vom Großstadtleben als getrennt gesehen wird.

Als Liberato neun Jahre alt war, starb seine Mutter und sein Vater schickte ihn auf das Land zu seiner Oma. Hier lebte er für zwei Jahre in einem einfachen Dorf in den südlichen peruanischen Anden und lernte das Quechua (Zavala 2019: 68 f.). Er wurde in der Schule von seinen Klassenkamerad*innen dazu gebracht, es zu lernen, denn sie ärgerten ihn, als er es nicht sprach. Im Alter von zwölf Jahren kehrte er dann zurück nach Lima und hörte für sieben Jahre auf Quechua zu sprechen. Erst als er anfing zu rappen kam das Quechua zurück („Desde que empecé a rapear comencé a recordar el quechua“) (Zavala 2019: 68 f.).

Mittlerweile hat er seine Quechua Kenntnisse aufgefrischt und er ist in der Lage, translinguale Interviews zu führen (Zavala 2019: 66-71). Außerdem baut er das Quechua in seiner Social Media Präsenz mit ein (Liberato Kani Peru, Facebook).

Renata Flores

Die bilinguale Rapperin Renata Flores

Renata Flores’ Fall weist Parallelen zur Entwicklung von Liberato Kani auf und unterscheidet sich dennoch stark. Sie macht Musik mit der Hilfe ihrer Mutter (auch Musikerin) und wurde durch Covers von Pop Songs in Quechua bekannt. Anders als bei Liberato Kani spricht weder Renata Flores selbst noch ihre Eltern Quechua (Zavala 2019: 68). Sie lernte das Quechua als „Zweitsprache und nicht als Muttersprache kennen. Sie hörte als Kind, wie ihre Eltern Lieder von der Band Ushpa spielten und war vom Klang der Sprache fasziniert und beschreibt diesen als sehr sanft und warm (El Peruano 2020: o.S.). Auch war sie es, und nicht ihre Eltern, die die Initiative ergriff, Songs auf Quechua zu übersetzen und zu singen. Damit sie ihre Songs auf Quechua performen kann, fragt sie ihre Oma oder eine*r Quechualehrer*in, die ihr bei der Übersetzungsarbeit helfen. Sie bemüht sich auch selbst die Sprache zu erlernen (Zavala 2019: 68).

Mittlerweile produziert sie ihre eigenen Songs mit deutlichem Einfluss aus dem Genre Rap/Trap. In ihrer Musik und ihren Videos vermischt sie ähnlich wie Liberato Kani „traditionelle andine“ Elemente mit zeitgenössischen. Diese Kombination ist nicht nur bei der Musik und den Klängen selbst zu erkennen, sondern auch an dem Kleidungsstil und der Gestaltung der Videos. So wechselt der Hintergrund im Musikvideo von „Tijeras“ immer wieder zwischen einem „andinen Look“ in den Bergen zu einem klassischen urbanen Hintergrund mit Grafitti an den Wänden (Renata Flores 2018). Doch, das Video soll keine Trennung zwischen etwas „Modernen“ und „Unmodernen“ aufmachen, sondern zeigen wie beide Elemente miteinander verknüpft werden können

Renata Flores und Liberato Kani sind zwei Beispiele, die repräsentativ für eine jungen Generation stehen, die sich dem Quechua wieder zu wendet, ihm einen intrinsischen Wert zu sprechen und es in neue Lebensbereiche integrieren. Diese Aktivist*innen kommen aus unterschiedlichen Teilen Perus, aber arbeiten gemeinsam daran, die dominanten Sprachideologien des Landes zu dekonstruieren, den Diskurs um Indigenität zu dekolonialisieren und neue heterogene Identitäten zu konstruieren. Diese geben den indigenen Sprachen eine Perspektive, da sie diese nicht getrennt von Moderne und Globalisierung sehen. Durch ihre aktivistische Arbeit schaffen sie mehr Aufmerksamkeit für das Quechua und tragen zu einer Revitalisierung dieser Sprache, auch in Räumen, die als „modern“, „global“ und „urban“ gelten.

Bibliografie

  • Barrett, Rusty (2017). “Indigenous Hip Hop as Anti-colonial Discourse in Guatemala”, en: Way, Lyndon C. S. / Simon McKerrel (Eds.), Music as Multimodal Discourse: Semiotcs, Power and Protest, pp. 179–200. London: Bloomsbury Publishing Plc.
  • Cortina, Regina (Ed.). (2014). The education of indigenous citizens in Latin America. Bristol: Multilingual Matters.
  • Dueñas, Frances J. K. (2019). Youth Bilingualism, Identity And Quechua Language Planning And Politicy, in: The Urban Peruvian Andes Ph.D. Thesis, University of Pennsylvania.
  • Escobar, Anna María (2011). “Dinámica sociolingüística y vitalidad etnolingüística: quechua y aimara peruanos en el siglo XXI”, en: Willem F. H., Adelaar / Pilar V. Bismarck / Roberto Zariquiey (Eds.), Estudios en lenguas andinas y amazónicas, Lima: PUCP, pp. 125-145.
  • El Montonero (2017). Liberato Kani: “El Quechua Es Resistencia”, en: Youtube. URL: https://www.youtube.com/watch?v=_jXnZNK0O94 (último acceso 20.03.2020).
  • El Peruano 2020 „El quechua suena bien“, en: El Peruano. URL: https://elperuano.pe/noticia/89030-el-quechua-suena-bien (último acceso 17.03.2020).
  • García, Ofelia / Nelson Flores / Massimiliano Spotti (2017). Introduction. Language and society. A critical poststructuralist perspective, en: García, Ofelia / Nelson Flores / Massimiliano Spotti (Eds.), The Oxford handbook of language and society, Oxford: Oxford University Press, pp. 1-16.
  • Grenoble, Leonore A. / Lindsay J. Whaley (2006). Saving Languages: An Introduction to Language Revitalization, Cambridge: Cambridge University Press.
  • Golte, Jürgen (2001). Cultura, racionalidad y migración andina, Lima: Instituto de Estudios Peruanos.
  • Gugenberger, Eva (2016). „Sprachensituation“, en: Iken Paap / Friedhelm Schmidt-Welle (Eds.), Peru heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt am Main: Vervuert Verlag, pp. 325-347.
  • Liberato Kani Peru, en: Facebook. URL: https://www.facebook.com/LiberatoKaniPeru/ (último acceso 12.03.2020).
  • Liberato Kani (2016). Liberato Kani – “Kaykunapi”, en: Youtube. URL: https://www.youtube.com/watch?v=Fj1E0OV8B5c (último acceso 20.03.2020).
  • Renata Flores (2018). Renata Flores – Trap + Quechua – Tijeras ft. Kayfex, en: Youtube. URL: https://www.youtube.com/watch?v=VQUrV_v7OK8 (último acceso 15.03.2020).
  • UNESCO (2010). „Atlas of the World‘s Languages in Danger“, en: Unesco. URL: http://www.unesco.org/languages- atlas/index.php?hl=en&page=atlasmap&cc2=PE (último acceso 03.03.2020).
  • Zavala, Virginia (2014). „An Ancestral Language to speak with the „Other“: Closing down ideological spaces of a language policy in the Peruvian Andes“, en: Language Policy, 13 (1), pp. 1-20.
  • Zavala, Virginia (2018) „Language as Social Practice Deconstructing Boundaries in Intercultural Bilingual Education“, en: Trabalhos em Linguistica Aplicada, 57 (3), pp.1-26.
  • Zavala, Virginia (2019) „Youth and the repoliticization of Quechua“, en: Language, Culture and Society, Jg. 1 (H. 1), pp. 59-82.

Philipp Rohn ist Student des Bachelors Altamerikanistik und Ethnologie sowie Philosophie und Praktikant des Blogs Amerigrafías der Universität Bonn.